Bislang galt Karl Lagerfeld Chanel-Chefdesigner, als unangefochtene Modekoryphäe. Der Mann denkt selbstständig und spricht es auch aus, ohne Rücksicht auf Verluste. Dabei geizt er nicht mit Beleidigungen an die Adresse all jener, die nicht mit makellosem Teint gesegnet, gertenschlank oder einfach Claudia Schiffer sind. Für seine Offenheit wird er in den Medien geschätzt, der alte Mann mit dem schlohweissen Pferdeschwanz gilt, nett ausgedrückt, als Original.
Man sollte ihr Hinterteil zeigen
Aber ist er auch originell? Der Grat zwischen eigenwilliger Meinung und verbalem Rowdytum ist schmal. In den vergangenen Monaten bewies Lagerfeld, selber schon etwas welk geworden, dass er weniger ein Querdenker denn ein Meinungs-Hooligan ist. Jüngstes Beispiel: Pippa Middleton. Seit die Schwester der englischen Prinzessin als Trägerin eines wohlgeformten Hinterteils auf sich aufmerksam gemacht hat, sucht die Weltpresse Gelegenheiten, sich über eben dieses auszulassen. Nicht so Lagerfeld, er hat einen anderen Fokus. «Ich mag ihr Gesicht nicht. Sie sollten nur ihr Hinterteil zeigen», sagte er. Das sorgte denn auch für grosse Empörung in den britischen Boulevard-Blättern.
Immerhin befindet Pippa sich in bester Gesellschaft. Im Februar bekam Sängerin Adele ihr Fett weg, als Karl sie mit ebendiesem Attribut bezeichnete. Als im Jahr 2009 wegen einiger Todesfälle über Magersucht im Modelbusiness diskutiert wurde und die Frage im Raum stand, ob die Modeindustrie vielleicht wieder vermehrt Frauen mit gesünderem Body-Mass-Index zeigen sollte, zeigte Lagerfeld sich uneinsichtig. Gegenüber «Focus Magazine» sagte er: «Niemand will kurvige Frauen sehen. Das behaupten doch bloss diese fetten Mütter, die mit Chipstüten vor dem Fernseher sitzen und behaupten, dünne Models seien hässlich. In der Mode geht es um Träume und Illusionen.» Überhaupt scheint ihn das Thema Übergewicht stark zu beschäftigen – er selber hungerte sich im Jahr 2001 um etwa 30 Kilo auf seine jetzige schmale Silhouette runter. Schönheit und die richtige Figur sind für ihn eine Frage von Disziplin und Leistungswille: «Magersucht hat mit Mode nichts zu tun. Ich glaube nicht, dass man das diskutieren muss. Heutzutage nehmen viele Leute Drogen, nicht nur Models. Hm? Es ist ein unnötiges Thema. Sprechen wir lieber über fette Frauen.»
Extra-Publicity
Fett und hässlich, das sind die Eigenschaften, welche Karl am meisten zu fürchten scheint und aus lauter Furcht auf das weibliche Geschlecht projiziert. So sagte er in einem Interview neulich zur designierten Vogue-Chefin Carine Roitfeld: «Du hast Glück, dass deine Kinder sehr schön sind. Es wäre schwierig geworden mit einer hässlichen Tochter.» Nachdem Dominique Strauss-Kahn angeklagt worden war, ein Zimmermädchen sexuell attackiert zu haben, sandte ihm Lagerfeld Blumen. Und als Lagerfeld vergangenes Jahr zur Mode-Ikone Coco Chanel befragt wurde, ob sie wohl Feministin gewesen sei, antwortete er: «Sie war nie Feministin. Dazu war sie nicht hässlich genug.» Trotzdem gilt Lagerfeld in Fashionkreisen nach wie vor als Prophet – immerhin hat er den Brand Chanel von den Toten auferweckt und in ein florierendes Unternehmen verwandelt – ein bisschen Exzentrik gehört da dazu, sagen die einen.
Dazu gibt es zwei Dinge zu bemerken. Erstens ist es nicht exzentrisch, jemanden niederzumachen, weil er nach eigenen Massstäben als «hässlich» gelten muss. Und zweitens hat die «Exzentrik» System. Auch im jüngsten Fall dürfte Lagerfeld seine Bemerkung über Pippa Middleton wohl getimt haben – hatte er doch kurz zuvor seine Olympia-Collection für Chanel vorgestellt unter dem Titel: Team Karl.
Es mag Stil haben, auch in einem opponierenden Umfeld zur eigenen Meinung zu stehen. Aber Frauenhass als PR-Trick – das ist nicht nur stillos, sondern auch wenig originell, Herr Karl.