Dienstag, 5. März 2013
PSYCHOLOGIE - DAS TAL DES LEBENS
Mit über 40 dämmert vielen: Es gibt nicht mehr unendlich viele Möglichkeiten, manch eine Chance ist verpasst, und irgendwann wird das Leben vorbei sein. Die Midlife-Crisis ist mehr als ein Mythos, wie Studien belegen. Zum Glück zeigen sie auch, was dagegen hilft.
Nach der Party zum 25. Geburtstag musste der Kumpel den Flur neu streichen, weil Fußabdrücke und Lippenstift an den Wänden zurückgeblieben waren. Die Feier zum 30. endete immerhin noch mit einer leichten Schlägerei. Und nun: 40. Der Freund feiert in kleiner Runde, es gibt guten Wein, Bohnensalat mit Minze und zum Dessert Birnensorbet.
Volker Marquardt hat sich und seine Bekannten beim Älterwerden beobachtet und das selbstironische und schwermütige Buch Halb so wild. Was mit 40 wirklich zählt geschrieben. Mit dem gediegenen Birnensorbet-Geburtstag fängt die Misere erst an. Alle sind auf einmal jünger – die Grundschullehrerin der Tochter, die Tagesschau-Sprecherin, der Bankberater. Das Kreuz zwickt, vor dem Joggen ist seit Kurzem Aufwärmen nötig. Und Sex? Wird überbewertet. Marquardts Bekannte grübeln: »Habe ich mir mein Leben so vorgestellt? Soll es das gewesen sein?«
Lange hielten Wissenschaftler die Midlife-Crisis für einen Mythos. Inzwischen aber belegen weltweite Studien: Das Lebensalter zwischen 40 und 55 ist eine Zeit des Wandels, in der viele anfällig sind für einen Zustand, der mit »Midlife-Crisis« gar nicht so schlecht beschrieben ist. Das Wohlbefinden bei Männern und Frauen sinkt bis Mitte 40 im Schnitt immer weiter ab und steigt erst danach wieder an.
In der Mitte des Lebens realisieren viele, dass sie in Bezug auf Familie und Beruf nicht mehr unendlich viele Möglichkeiten haben, dass ihr Körper älter wird – und älter aussieht – und dass das Leben irgendwann vorbei sein wird. Dabei könnte man es entspannt sehen: Viele haben die schwierigsten Karriereschritte geschafft, ihre Identität und Rolle gefunden, die finanziellen Verhältnisse sind meist stabil. Auch die kognitiven Fähigkeiten nehmen nicht so stark ab, wie viele vermuten. Die Gelassenheit wächst sogar, schließlich hat man schon einiges überstanden.
Ob die Lebensmitte zur Krise wird oder zum entspannten Verweilen auf einem Hochplateau, kann jeder selbst beeinflussen. Wie das geht, haben Psychologen zum Glück auch herausgefunden.
Natürlich sind Lebensläufe unterschiedlich: Die einen haben mit 30 schon Familie und Erfolg im Job, andere bekommen erst mit 40 Kinder oder starten mit 45 beruflich durch. Dennoch sind in der Mitte des Lebens viele unzufrieden. Das erkannten die Ökonomen David Blanchflower und Andrew Oswald, als sie Datensätze zur Lebenszufriedenheit von mehr als einer Million Personen aus über 70 Ländern untersuchten: Ab etwa Mitte 30 werden Menschen immer unzufriedener, mit Mitte 40 durchschreiten sie die Talsohle. Danach geht es ihnen zunehmend besser. Die U-Kurve des Glücks haben Forscher in vielen Kulturen gefunden. Einer der Datensätze mit Angaben zu 160.000 Menschen zeigte: In Europa liegt der Tiefpunkt bei 46, in Schwellenländern bei 43 Jahren.
Trotz unterschiedlicher Lebensläufe haben die Menschen in dieser Phase also etwas gemeinsam. Vieles, was Volker Marquardt an sich und seinen Bekannten beobachtet hat, lässt sich verallgemeinern. Ab 40 verändert sich der Körper nun einmal. Bei Männern sinkt der Testosteronspiegel, Frauen haben einen niedrigeren Spiegel an Östrogen und kommen in die Wechseljahre. Muskeln schwinden, dafür nehmen Fett, graue Haare und Falten zu, das ganze Programm. Plötzlich fallen einem Namen nicht mehr ein, und wo steht noch mal das Auto? Die Veränderungen belasten viele, »auch aufgrund der vorherrschenden jugendbezogenen Attraktivitäts- und Leistungsnormen«, sagt Pasqualina Perrig-Chiello, Professorin für Entwicklungspsychologie an der Universität Bern.