Samstag, 30. März 2013

PHILOSOPHIE - FLEISCHKONSUM




Grosse Fragen: Tiere essen
Ist der Konsum von Fleisch ethisch zu rechtfertigen? Nur in sehr engen Grenzen, wie Ethiker Jean-Claude Wolf kurz und knapp erklärt.

Grosse Fragen: Tiere essen
Ist der Konsum von Fleisch ethisch zu rechtfertigen? Nur in sehr engen Grenzen, wie Ethiker Jean-Claude Wolf kurz und knapp erklärt.

Der Fleischkonsum ist moralisch problematisch, weil wir leider meistens nicht hinreichend kontrollieren können, wie Tiere gehalten und getötet wurden. Darüber hinaus ist der Fleischkonsum eine Vergeudung von Ressourcen, die wir – anstatt sie an Tiere zu verfüttern – selber essen könnten. Es ist demnach ein moralisches Gebot, den Fleischkonsum zu reduzieren.
Der australische Philosoph Peter Singer hat bereits in den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts einige der wichtigsten Argumente für einen konditionalen Vegetarismus zusammengetragen, das heisst für einen Vegetarismus unter den Bedingungen der modernen industriellen Fleischproduktion, unter den Bedingungen ausreichender Nahrungsalternativen – wir sind nicht auf den Verzehr von (viel) Fleisch angewiesen – und unter den Bedingungen, dass wir die Haltung einzelner Tiere nicht selber kontrollieren können. Ich glaube, dass damit im Wesentlichen alles gesagt ist.



POLITIK -WIR HABEN EINE KRISE DER VERNUNFT







Frank Schirrmacher gehört zu den wichtigsten deutschen Vordenkern. Er sagt, die Wirtschaftskrise habe zu einem Zustand der Dauerbedrohung geführt. Trotzdem hat er Hoffnung.

Herr Schirrmacher, Sie schreiben, die Eurokrise sei nicht ein vorübergehendes Problem. Es gehe um mehr. Um was geht es?
Die Krise ist Ausdruck von etwas sehr Grundsätzlichem. In der Zeit davor wurde die Wirtschaftswissenschaft als positive Wissenschaft verkauft, als rationales System. Dann kam die Krise, und es wurde immer deutlicher: Diese ist längst nicht mehr nur eine Krise der Wirtschaft, sondern eine Krise der Rationalität. Wir haben eine Krise der Vernunft. Es ist so, als merkten wir plötzlich, dass das System der Physik nicht mehr funktioniert. Dass uns die Antwort auf die Frage schwerfällt, was moralisch ist und was nicht – das ist nicht unser grösstes Problem. Gravierender ist, dass wir nicht mehr wissen, was vernünftig ist und was nicht. Es war nicht irgendein Feuilletonist, der vor dem amerikanischen Kongress gesagt hat: «Das gesamte Denkgebäude ist zusammengebrochen.» Das war immerhin Alan Greenspan.

Wir leben in der Epoche des grossen Zusammenbruchs?
Wir leben heute ständig in einer Situation der absoluten Drohung: Es droht das Ende des Euro; es droht der Kollaps des Finanzsektors. Das hat es – wenn man an die 80er- oder 90er-Jahre denkt – in dieser Frequenz nie gegeben.
Mit welchen Folgen?
Dieses Denken produziert einen Satz, den wir alle kennen: «Es gibt keine Alternative.» Das bedeutet eine weitere Radikalisierung. Es ist kein Zufall, dass wir seit Ausbruch der Krise eine Inflation von Nuklearmetaphern haben, von der «finanziellen Kernschmelze» bis zu den «Massenvernichtungswaffen der Börsen». Da kommen wir schnell zum Modell des Kalten Krieges.
Wir leben in einer Neuauflage des Kalten Krieges?
Im Kalten Krieg gab es erstmals in der Weltgeschichte eine absolute Bedrohung. Mit dieser Bedrohung war das Wissen verbunden: Zwar können wir den Gegner vernichten, doch er hat immer noch die Möglichkeit, uns auch zu vernichten. Sieht man sich nun die internen E-Mails der Investmentbank Lehman an, so erinnern diese stark an die Denkbilder des Kalten Krieges. Die Banker dachten: «Uns kann gar nichts passieren, weil, wenn uns was passiert, werden die anderen ja auch vernichtet.» Auch bei der Griechenland- und Zypernrettung stand die absolute Drohung im Raum. Da kommt dann die Botschaft aus Brüssel: «Wenn Ihr nicht kooperiert, gehen wir alle unter.» Solche Konstellationen sind auch deshalb problematisch, weil sie die Demokratie schwächen.

Warum?
Die Eurokrise ist mit einer massiven Entdemokratisierung und einem erheblichen Souveränitätsverlust verbunden. Bei uns in Deutschland musste mehrmals das Bundesverfassungsgericht einschreiten und dafür sorgen, dass das Parlament nicht übergangen wird. Oder denken Sie an die negativen Reaktionen auf den Vorschlag des früheren griechischen Ministerpräsidenten, der sein Volk über das Eurorettungspaket abstimmen lassen wollte.
Die Schweizer haben allerdings vor kurzem per Volksabstimmung Massnahmen gegen die Abzockerei beschlossen.
Das widerspricht meinen Ausführungen nicht.
Ein demokratischer, rationaler Aufstand gegen die Wirtschaftselite ist doch exakt die Antithese zu dem, was Sie sagen. Sie sprechen von einer Gesellschaft, die erstens in einer tiefen Krise der Rationalität steckt und die zweitens aus einem Heer von Egoisten besteht.
Ich sehe keinen Widerspruch. Es wäre ja schlimm, wenn das, was ich beschreibe, der Endpunkt wäre. Eine Gesellschaft funktioniert dialektisch, sie lernt dazu. Und reagiert folglich allergisch, wenn die Managergehälter ins Absurde steigen. Ich begrüsse die Debatte in der Schweiz sehr, weil sie wegführt von der rein moralischen Diskussion, mit der wir jetzt viele Jahre vergeudet haben.
Das müssen Sie uns erklären.
Es ist immer cool zu sagen: «Die verdienen zu viel, guckt euch diese Schweine an.» Aber gebracht hat diese emotionale Stigmatisierung überhaupt nichts. Die Reaktion in der Schweiz ist anders, nämlich ganz rational. Und sie steht nicht im Widerspruch zu meiner These, sondern zeigt den nächsten Schritt. Wir erleben überall, dass durch die Krise der Rationalität Überzeugungen, die bisher galten, infrage gestellt werden – und neue Überzeugungen an Kraft gewinnen.
Für Sie ist die Abstimmung in der Schweiz ein Hoffnungsschimmer – ein Indiz, dass die Krise der Vernunft überwindbar sein könnte?
Ja, man muss aber berücksichtigen: In der Schweiz haben Plebiszite Tradition, bei uns in Deutschland nicht. Und sie wären hier ein riskanter Weg. Man weiss nicht, was herauskäme, wenn wir über den Euro abstimmen würden. Mir würde es schon reichen, wenn das Parlament stärker mitreden könnte. Aber ich will noch etwas zum Recht sagen.
Bitte.
Im Neoliberalismus interessiert vor allem eines: die Präferenz des Menschen: Will er heute ein Eis? Und was will er morgen? Das Ziel ist, Präferenzen zu schaffen, Präferenzen vorauszuahnen und Präferenzen zu befriedigen. Wenn man aber sagt: Alles, was zählt, ist die Präferenz – dann wird es gefährlich. Dann droht, dass man das Recht relativiert, wenn es nicht zu den Präferenzen gehört. Dabei ist ganz wichtig, dass bestimmte Rechtsgüter – Gleichberechtigung, Selbstbestimmung ... – unangefochten gelten, selbst wenn sie niemand will. Die Eurokrise hat uns da auf einen heiklen Weg geführt. Da mache ich auch der Bundesregierung Vorwürfe. Diese merkwürdige, überschüssige Reaktion auf die Schweiz, zeigt doch auch: Wenn Sie selber den moralischen Boden verloren haben, müssen Sie jemand anders noch amoralischer machen.
Sie haben Frau Merkel als oberste Spieltheoretikerin des Landes bezeichnet. Wie meinen Sie das?
Die Physikerin hat ein paar spieltheoretische Prinzipien verinnerlicht. Erstens: Denke vom anderen immer, dass er dich über den Tisch ziehen will. Zweitens: Rede nicht, lege dich nicht fest. Und drittens: Das ganze Spiel kannst du nur mit Bluffs spielen.
Immerhin hat sie Deutschland bisher einigermassen unbeschadet durch die Eurokrise gesteuert. Wenn Sie auf den Chip in der Mitte des Pokertisches schauen, sieht es für Merkel nicht schlecht aus. Das System ist stabil, wir Deutschen haben zwar viel Geld aufgeworfen, sind dafür aber nicht pleitegegangen. Aus einer anderen Perspektive betrachtet, sieht man allerdings: Der Preis für Merkels Strategie ist riesig. Deutschland zahlt und zahlt und zahlt – und wird gehasst. Wir werden wieder als Nazis beschimpft.

Wie kommt das?
Diese Paradoxie ist nur dadurch zu erklären, dass man nicht die Wahrheit sagt. Aus Rücksicht auf ihre eigenen Wähler versäumt es Merkel zu sagen, was das Ganze für einen Zweck hat. Richtig wäre aus meiner Sicht: ehrlich sein und eine Utopie entwickeln. Die Kanzlerin könnte sagen: «Das Geld ist zwar weg, aber dafür bekommen wir etwas: ein starkes Europa.»
Sie sehen die Welt im Zeitalter des Ökonomismus, wo das Ego-Interesse über allem anderen steht. Das heisst, die Menschen heute sind schlechter, als sie früher waren?
Nein, das sind sie nicht. Nach wie vor besitzen die Menschen Intuition – diese sagt ihnen, was gut ist und was nicht. Ich würde nie behaupten, in der heutigen Gesellschaft gebe es mehr Egoismus. Aber wir haben eine Gesellschaft mit einem neuen Imperativ. Und der heisst: Es ist vernünftig, egoistisch zu sein. Es ist etwas völlig anderes, ob Sie sagen: Wir sind Egoisten. Oder ob sie als Maxime ausgeben: Es ist rational, egoistisch zu sein. Eine solche Maxime ist philosophiegeschichtlich eine Zäsur, weil wir in Europa doch stark von Immanuel Kant und seinem Satz geprägt sind: «Handle stets so, dass dein Handeln zur Gesetzgebung für alle werden könnte.»
Der neue Leitsatz stammt von Thomas Hobbes ...
... ja: «Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.» Aus Studien wissen wir: Wenn in einer Gesellschaft egoistisches Verhalten als vernünftig erklärt wird, wird es beim Menschen geradezu erweckt. Das Modell des «homo oeconomicus» produziert Soziopathen. Es wird heute von den Menschen ein Verhalten verlangt, das sie selber nicht gut finden.
Dann sind die Menschen also doch schlechter geworden.
Nein, solange sie merken, was vor sich geht, werden sie nicht schlechter. Das Schweizer Plebiszit gegen zu hohe Managerlöhne belegt dies: Die Leute haben realisiert, dass es so nicht weitergehen kann – und haben gehandelt. Der Mensch ist vielschichtiger, als das Modell sagt. Das Problem ist, dass wir immer stärker Systemen ausgesetzt sind, die den Menschen auf einen Automaten reduzieren – auf seine Präferenzen.
Was schlagen Sie vor?
Man muss den Menschen vermitteln, dass sie ihre Intuition ernst nehmen. Das Problem ist ja nicht, dass wir zu grosse Risiken eingehen. Das Problem ist, dass wir alles risikolos machen wollen. Darum sind wir ja so versessen auf die angeblich superpräzisen Modelle der Statistiker. Zur Finanzkrise ist es nicht gekommen, weil Vorkehrungen zur Risikoabwehr gefehlt hätten. Im Gegenteil, solche gab es in Fülle. Der Fehler war, dass man ihnen blind vertraut und nicht auf die Intuition gehört hat.
Wir müssen lernen, bewusst Risiken einzugehen und zu tragen?
Ja, und dazu gehören Transparenz, Ehrlichkeit und Selbstvertrauen. Unsere Aufgabe ist, unsere Prägung zu verlernen. Nichts gegen den Konsum, den Markt oder das Internet – solange wir davon nicht gesteuert werden.



Sonntag, 10. März 2013

WISSEN - DIE 12 REGELN EINER GLÜCKLICHEN BEZIEHUNG




Kann man voraussagen, ob die Liebe dem Alltag standhält? Nicht unbedingt. Aber es gibt laut Studien Eigenschaften, die Langzeitpaare teilen. Testen Sie Ihr Liebesverfallsdatum.
Die Liebe – sie ist vielleicht das am meisten studierte und am wenigsten verstandene Objekt der psychologischen Forschung. Gerade weil sie sich dem Labor und der Statistik komplett entzieht. Nun hat Daniel O'Leary mit seinem Team versucht, die Liebe unter Liebenden zu studieren. Genauer gesagt: Er hat Paare, die seit über zehn Jahren verheiratet oder zusammen sind und sich als glücklich bezeichnen, auf Herz und Nieren überprüft. Und siehe da: Langzeitehen können alles andere als kühl und leidenschaftslos sein. Immerhin gaben 40 Prozent der Befragten an, dass sie noch immer in ihre Partner verliebt seien und sich das auch im Bett recht häufig zeigten.
Daraufhin haben die Forscher versucht herauszufinden, was denn Paare gemeinsam haben, die bereits seit 30 Jahren zusammen sind und angaben, sehr glücklich zu sein. Wer nun erwartet, dass eine lange Liste kommt, die von Nähe, Kommunikation und Leidenschaft zeugt, hat nicht unrecht. Doch die Prise Pragmatismus ist nicht zu unterschätzen.
Testen Sie also ihre Beziehung:

1. Positiv über den Partner denken. Langzeitpaare streiten sich auch – aber sie zählen, fragt man sie, mehr positive als negative Eigenschaften über den Partner auf. Sie haben gelernt, ihren Partner zu ertragen, und das Gedächtnis darauf konditioniert, schlechte Erinnerungen zu verstecken, gute hingegen jederzeit abrufbar zu speichern.
2. In der Ferne die Nähe suchen. Nach 30 Jahren Ehe will man nicht mehr dauernd aufeinander hocken. Doch offenbar denken Langzeitpaare regelmässig an den Partner, wenn sie von ihm getrennt sind. (Lesen Sie auch: «Lust auf Distanz»)
3. Kein Multitasking beim Paarprobleme wälzen. Wer einen Streit mit dem Partner einfach schnell wegstecken und zur Tagesordnung übergehen kann, zeigt nicht das Verhalten, das Langzeitpaare zu Protokoll gegeben haben. Multitasking hört bei ihnen spätestens dann auf, wenn sie intensiv an den Geliebten denken.
4. Gemeinsame und neue Hobbys. Klar doch, Paare, die sich mögen, verbringen viel Zeit miteinander. Doch offenbar profitiert die Langzeitliebe vorab, wenn ein Paar gemeinsam eine neue Leidenschaft entdeckt. Vorzugsweise eine, die komplizierter ist als Kaffeerahmdeckeli sammeln.
5. Zeit gemeinsam verbringen. Zeit lässt die Liebe wachsen. Zumindest dann, wenn sie oft gemeinsam verbracht wird. Und dabei zählt nicht nur die Freizeit, sondern auch die Pflicht. Langzeitpaare verbringen nachweisbar mehr Zeit beim gemeinsamen Haushalten, Kochen, Putzen, Gärtnern als Lebensabschnittspaare.
6. Die Liebe benennen. Fühlen ist gut und recht. Kommunizieren ist besser. Typische Ausdauerliebende sagen sich regelmässig, dass sie sich lieben. Mit Worten und mit Gesten. Das muss nicht immer der elaborierte Liebesbrief oder ein Kamasutra-Ausdauertraining sein. Ein Kuss, eine kleine Notiz auf dem Tisch genügen. (Lesen Sie auch: «Was Frauen an Männern lieben»)
7. Begehren zeigen und leben. Ja – ohne wirds schwierig. Zumindest wer Jahrzehnte aushalten will, sollte seinen Partner begehren, sich von ihm körperlich angezogen fühlen und das auch zeigen. Wer beim Küssen ans Abendessenkochen denkt, sollte mal in sich gehen.
8. Sex haben, regelmässig. Die Anziehung ist nicht immer gleich gross. Und selbst wer eben beim Küssen auch mal an den Brokkoli im Kühlschrank denkt, ist kein Single-Kandidat. Sex kann man auch mal haben, wenn die Lust gar nicht oder noch nicht da ist. Die O'Leary-Studie jedenfalls zeigt, dass Langzeitliebende öfter Sex haben und regelmässiger Sex haben als andere Pärchen. Erforscht ist übrigens auch, dass wer mehr Sex hat auch mehr Sex will. Für einmal ist das mit dem Huhn und dem Ei völlig egal.
9. Glücklich sein. Glückliche Menschen sind die besseren Liebhaber. Mehr gibts dazu nicht zu sagen.
10. Kontrolle: Ja, Sie haben richtig gelesen – wer wissen will, mit wem sich der Partner trifft, hat grössere Chancen, den Partner auch zu behalten. Liebende haben nun mal Ähnlichkeiten mit Stalkern. Vor allem wenn sie männlichen Geschlechts sind.
11. Obsession. Frauen hingegen, wenn sie in langen Beziehungen glücklich werden wollen, sollten sich ein kleines bisschen Obsessivität nicht verdenken. Offenbar sind erfolgreiche Langzeitliebhaberinnen in Gedanken nie weit von ihrem Partner entfernt. (Lesen Sie auch: «Das Buch, das Frauen fesselt»)
12. Leidenschaft. Nein – da ist nicht in erster Linie die horizontale Leidenschaft gemeint, sondern die alltägliche. Menschen, die ihre Emotionen nicht homöopathisch dosieren in ihrem Leben, geben die besseren Langzeitliebhaber ab. Wer sich also so richtig aufregen kann oder gerne lacht, wer sich reinknien will und wer immer ein bisschen auf der Suche nach dem nächsten Kick ist, hat gute Voraussetzungen mit seinem Partner alt zu werden.

Dienstag, 5. März 2013

PSYCHOLOGIE - DAS TAL DES LEBENS




Mit über 40 dämmert vielen: Es gibt nicht mehr unendlich viele Möglichkeiten, manch eine Chance ist verpasst, und irgendwann wird das Leben vorbei sein. Die Midlife-Crisis ist mehr als ein Mythos, wie Studien belegen. Zum Glück zeigen sie auch, was dagegen hilft.
Nach der Party zum 25. Geburtstag musste der Kumpel den Flur neu streichen, weil Fußabdrücke und Lippenstift an den Wänden zurückgeblieben waren. Die Feier zum 30. endete immerhin noch mit einer leichten Schlägerei. Und nun: 40. Der Freund feiert in kleiner Runde, es gibt guten Wein, Bohnensalat mit Minze und zum Dessert Birnensorbet.
Volker Marquardt hat sich und seine Bekannten beim Älterwerden beobachtet und das selbstironische und schwermütige Buch Halb so wild. Was mit 40 wirklich zählt geschrieben. Mit dem gediegenen Birnensorbet-Geburtstag fängt die Misere erst an. Alle sind auf einmal jünger – die Grundschullehrerin der Tochter, die Tagesschau-Sprecherin, der Bankberater. Das Kreuz zwickt, vor dem Joggen ist seit Kurzem Aufwärmen nötig. Und Sex? Wird überbewertet. Marquardts Bekannte grübeln: »Habe ich mir mein Leben so vorgestellt? Soll es das gewesen sein?«
Lange hielten Wissenschaftler die Midlife-Crisis für einen Mythos. Inzwischen aber belegen weltweite Studien: Das Lebensalter zwischen 40 und 55 ist eine Zeit des Wandels, in der viele anfällig sind für einen Zustand, der mit »Midlife-Crisis« gar nicht so schlecht beschrieben ist. Das Wohlbefinden bei Männern und Frauen sinkt bis Mitte 40 im Schnitt immer weiter ab und steigt erst danach wieder an.
In der Mitte des Lebens realisieren viele, dass sie in Bezug auf Familie und Beruf nicht mehr unendlich viele Möglichkeiten haben, dass ihr Körper älter wird – und älter aussieht – und dass das Leben irgendwann vorbei sein wird. Dabei könnte man es entspannt sehen: Viele haben die schwierigsten Karriereschritte geschafft, ihre Identität und Rolle gefunden, die finanziellen Verhältnisse sind meist stabil. Auch die kognitiven Fähigkeiten nehmen nicht so stark ab, wie viele vermuten. Die Gelassenheit wächst sogar, schließlich hat man schon einiges überstanden.
Ob die Lebensmitte zur Krise wird oder zum entspannten Verweilen auf einem Hochplateau, kann jeder selbst beeinflussen. Wie das geht, haben Psychologen zum Glück auch herausgefunden.
Natürlich sind Lebensläufe unterschiedlich: Die einen haben mit 30 schon Familie und Erfolg im Job, andere bekommen erst mit 40 Kinder oder starten mit 45 beruflich durch. Dennoch sind in der Mitte des Lebens viele unzufrieden. Das erkannten die Ökonomen David Blanchflower und Andrew Oswald, als sie Datensätze zur Lebenszufriedenheit von mehr als einer Million Personen aus über 70 Ländern untersuchten: Ab etwa Mitte 30 werden Menschen immer unzufriedener, mit Mitte 40 durchschreiten sie die Talsohle. Danach geht es ihnen zunehmend besser. Die U-Kurve des Glücks haben Forscher in vielen Kulturen gefunden. Einer der Datensätze mit Angaben zu 160.000 Menschen zeigte: In Europa liegt der Tiefpunkt bei 46, in Schwellenländern bei 43 Jahren.

Trotz unterschiedlicher Lebensläufe haben die Menschen in dieser Phase also etwas gemeinsam. Vieles, was Volker Marquardt an sich und seinen Bekannten beobachtet hat, lässt sich verallgemeinern. Ab 40 verändert sich der Körper nun einmal. Bei Männern sinkt der Testosteronspiegel, Frauen haben einen niedrigeren Spiegel an Östrogen und kommen in die Wechseljahre. Muskeln schwinden, dafür nehmen Fett, graue Haare und Falten zu, das ganze Programm. Plötzlich fallen einem Namen nicht mehr ein, und wo steht noch mal das Auto? Die Veränderungen belasten viele, »auch aufgrund der vorherrschenden jugendbezogenen Attraktivitäts- und Leistungsnormen«, sagt Pasqualina Perrig-Chiello, Professorin für Entwicklungspsychologie an der Universität Bern.